Montag, 11. Mai 2009

Zwangsverordnete Tagesstrukturen

Im dritten Teil über die Bildungsreform im Aargauer Schulsystem geht es um die Tagesstrukturen, die Kindern und Eltern einen geregelten Tagesablauf verschaffen wollen. Wenn Kritiker sagen, das Kleeblatt als Ganzes sei überladen und zu teuer, so meinen sie oft dieses dritte Teilchen. Es sei nicht nötig den Familien Tagesstrukturen aufzuzwängen. "Alles freiwillig" sagen die Befürworter und verweisen auf die Erfahrungen aus den Pilotversuchen. Bisher erschienen sind im Goggiblog die Gedanken zur Eingangsstufe, und Einschätzungen zum Thema Harmonisierung der Schulstrukturen. Goggi lebt mit drei Kindern im Haus und zwei Dutzend weiteren Kindern im Quartier zusammen und gilt als Direktbetroffener der schulreform.

Das Bildungskleeblatt 3 - Tagesstrukturen: NEIN

Tagesstrukturen. Das klingt schon mal gut. Wir alle könnten Strukturen gebrauchen, denn meistens braucht es nur einen Sonntag, ein paar Freitage, oder noch schlimmer: Eine Pensionierung - und der Tagesablauf hat keine Ordnung mehr. Meine erste Reaktion auf das dritte Kleeblättchen war denn auch ein begeistertes JA. Ich vertraute auf die Meinung der Fachleute, die man uns in den Medien präsentierte. Wenigstens bis zu jenem Zeitpunkt, als eine Sozialpädagogin in meiner Nachbarschaft, ihren zehn- und zwölfjährigen Buben Schusswaffen in die Hand drückte. Das veranlasste mich, den Fachleuten zu misstrauen.

Das Prinzip ist ja auch sinnvoll: Den Schülern steht die Schule ab 7 Uhr offen, über die Mittagszeit werden sie betreut und verpflegt und nach Schulschluss werden die Kinder bis 18 Uhr behütet. Doch bei genauerer Betrachtung kommen ein paar wesentliche Nachteile zu Tage, angefangen bei den Kosten. Ein einkommensabhängiger Tarifplan entscheidet über die entstehenden Kosten für eine Familie. Im günstigsten Fall ist die Betreuung kostenlos, Eltern mit höherem Einkommen subventionieren das Modell. Wie hoch die Tarife sind, wird von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich sein. Doch wie wird es sich in einem Dorf wie Neuenhof verhalten, in welchem der Ausländeranteil bei 67% liegt und naturgemäss mehr Leute in der tiefsten Kategorie zu liegen kommen? Wer übernimmt das Defizit? Der Steuerzahler? Kommt der Sozialindex zum Tragen, der im vierten Kleeblättchen gilt? "Das weiss man noch nicht" sagen die Befürworter. Man habe keine Ahnung wie viel die Organisation kostet und die Gemeinden würden verpflichtet etwas anzubieten, das man vielerorts gar nicht braucht, sagen die Gegner.

Tatsächlich. Ausser der Kostenfrage ist der Bedarf längst nicht bewiesen: In meiner ehemaligen Wohngemeinde, wurde der "Mittagstisch" - die Betreuung über Mittag - gerade mal von 10 Kindern genutzt. Darunter vier Kinder der Betreuer. Mit täglichen Kosten von 12 Fanken pro Kind würde eine ständige Betreuung über Mittag eine Familie mit zwei Kindern 500 Franken hinblättern müssen. Das Projekt wurde nach mehreren Versuchen endgültig begraben. Meine neue Wohngemeinde macht es günstiger. Hier kostet der Mittagstisch noch Fr. 6,50 - Über Frequenz und Wirtschaftlichkeit sind noch keine Zahlen bekannt.

Der dritte und wichtigste Punkt ist die Personalfrage. Für die Betreuung vor und nach der Schule muss ausgebildetes Personal angestellt werden. Die Elternmithilfe wurde vielerorts vonseiten der Schule ausdrücklich nicht gewünscht und die Lehrer haben an selber Stelle klar gemacht, dass das ganz bestimmt nicht ihre Aufgabe sei. Entsprechendes Personal zu finden wird mit Arbeitszeiten von 7.00 bis 08.20 Uhr eher schwierig. Über Infrastruktur wie Küchen, Essplätze, die erforderliche Grösse dieser Einrichtungen hallt dem Stimmbürger die immer gleiche Antwort entgegen: "Wir wissen es nicht"

Fazit: Der 3. Teil des Aargauer Bildungskleeblatt "Tagesstrukturen" klingt nur gut, ist es aber nicht. Für mich ein klares NEIN. Es beruht auf wage Prognosen von "Fachleuten" die ihr Wissen aus Büchern fischen, aber keine Ahnung von der Realität haben. Dazu kommen die Kosten, die für das ganze Kleeblatt auf jährlich 8 bis 12 Millionen geschätzt werden, je nach Quelle. Erfahrungsgemäss sind Schätzungen die im Rahmen eine Volksabstimmung fallen, eher tief angesetzt. Immerhin gaben einige Befürworter auch zu, dass es "am Anfang etwas mehr kosten könnte". Um sich über Aufwand und Kosten im Klaren zu sein, hat man sich weder die Mühe gemacht den Bedarf nach Tagesstrukturen zu prüfen, noch dargestellt, welche Anforderungen an Infrastruktur, Personal und Geld auf eine Gemeinde zukommen.

Weiterlesen:
Bildungskleeblatt 1- Eingangsstufe
Bildungskleeblatt 2 - Harmonisierung der Schulstrukturen
Dienstag im Goggiblog: Bildungskleeblatt 4: Der Sozialindex

1 Kommentar:

Nordlicht hat gesagt…

Mir scheint für viele Eltern ist Karriere wichtiger als ihre Kinder, oder sie müssen arbeiten gehen weil das Einkommen sonst hinten und vorne nicht reicht. Die einen vermögten professionelle Betreuung, die anderen gingen nur arbeiten um die Kosten der Betreuung decken zu können. Schon verkehrte Welt! Glücklich schätzen kann sich wer Eltern, bzw. Grosseltern hat die ehrenamtlich und zum Teil sehr gerne diese Aufgabe übernehmen. Bei uns ist dieses Thema hochaktuell - gehe ich doch Ende diesen Monats nach dem Mutterschaftsurlaub wieder arbeiten, zwar "nur" 20%, trotzdem muss doch jemand vertrauensvolles auf unseren Sohn aufpassen! Irgendwie besteht auch da ein gewisses Dilemma: gehe ich nicht arbeiten, werde ich spätenstens in einem Jahr "weg vom Fenster" sein und mich wird niemand mehr einstellen, also ist es nur von Vorteil wenn ich ein Bein im Beruf behalte. Andererseits wenn ich arbeiten gehe, sehe ich mich ja gezwungen eine Betreuungsperson für unseren Sohn zu organisieren. Mein Mann arbeitet Saison mässig, im Sommer kann er unmöglich die Hüterei übernehmen und eine Teilzeitstelle kommt rein finanziell nicht in Frage. Tja... Eine Lösung hätte ich noch im Köcher: wenn zwei Frauen sich gut verstehen und in der gleichen Situation sind (beruflich und familiär) könnten sie ja jeweils die Betreuung aufteilen, insofern vereinbar mit den Arbeitszeiten. Das perfekte System ist noch nicht gefunden.