Donnerstag, 8. April 2010

Am Konsumenten vorbeigeschützt

Weltweit laufen Datenschützer gegen Facebook, MySpace und LinkedIn Sturm, weil diese angeblich Daten ihrer User missbrauchen und weil sich Facebook mittels einer inzwischen wieder rückgängig gemachten Neuerung der AGB "mehr Rechte als nötig" angeeignet hätten. Doch: Die Datenschützer dieser Welt schützen am Konsumenten vorbei, denn dieser exponiert sich im "normalen" Leben weit mehr als bei Facebook und Co.

Ich liebe meinen Sohn Renato, meine Familie, Belinda und die Kinder, unsere Haustiere und den FC Aarau. Ich habe 326 Facebook-Kontakte, verlinke denen ständig diesen Blog hier und hinterlasse seichte Sprüche ohne wirklichen Informationsgehalt. In meinem Profil lassen sich weder Kontonummern finden, noch Passwörter, es gibt keine Infos über Krankheiten, genetische Ungleichmässigkeiten und schon gar keine Fingerabdrücke. Ich tausche keine illegalen Inhalte, pflege keinerlei Kontakte zu Untergrundorganisationen und meide sogar 1.Mai-Umzüge und das Basler St.Jakob-Stadion.

Dass dieses Profil von böswilligen Mächten bei Facebook und Co. missbraucht werden könnte, das ist den Datenschützern dieser Erde ein gewaltiger Dorn im Auge.

Mir aber wäre es lieber...

- wenn ich beim Gang vom Berner Hauptbahnhof zum Bundeshaus nicht von 47 Videokameras gefilmt würde
- wenn ich nicht in jedem Fahrzeug des öffentlichen Verkehrs "zu meiner Sicherheit" sogar beim Nasenpopeln gefilmt werde
- wenn ich bei der Onlinebestellung eines SBB-Tickets nicht Geburtsdatum und Wohnadresse angeben müsste
- wenn meine Krankenkasse sich nicht mit anderen Versicherungen über meinen Gesundheitszustand austauschen würde
- wenn meine Telefonnummer nicht automatisch im Telefonbuch erschiene, sondern nur wenn ich das explizit verlange.
- wenn jeder Briefträger für sich behalten würde, wem er welchen Brief zustellt
- oder wenigstens das Verdeck seines Anhängers regelmässig brauchen würde
- wenn die Frau am Postschalter nicht in aller Deutlichkeit in die Halle posaunen würde, ob ich auch auf 5'689,65 gekommen bin
- und ob ich noch Bargeld wolle
- wenn dem Schalterpersonal - das genauso gut Freund meines besten Feindes sein könnte - nicht automatisch mein Kontostand angezeigt bekäme
- wenn meine Bank nicht irrtümlich meine Kontodaten nicht Schreddert
- wenn Politiker nicht aus Versehen sensible Dokumente einfach in den Papierkorb werfen würden
- wenn bei einer Auszahlung der Versicherung nicht umgehend das Steueramt informiert würde, das sofort Rechnung stellt und mit Betreibung droht, obwohl das Geld längst in einer anderen Säule liegt
- wenn ich beim Eintritt ins Fussballstadion nicht Name und Adresse hinterlassen müsste, als läge die Wahrscheinlichkeit, dass ich ein Hooligan bin bei über 99%.
- wenn die Bestimmung nicht aufgehoben worden wäre, wonach Jeder und Jede ungefragt Telefonanrufe aufzeichnen darf
- wenn ich im Biometrischen Pass nicht auch noch grundlos den Fingerabdruck hinterlassen müsste
- der dann auch noch in eine zentrale Datenbank kommt
- wenn Beschiss-Firmen, die unter dem Vorwand einen Preis zu verlosen, in ihrer Narrenfreiheit endlich eingeschränkt würden.

Irgendwie scheint es den Datenschützern wichtiger zu sein, sich mit Giganten wie Facebook oder Google prominent in Szene zu setzen, als sich um die wahren Datenlecke der Gesellschaft zu kümmern. Wer weiss, vielleicht verlieren sie ihre Existenzberechtigung, oder man merkt in der Öffentlichkeit, dass die Datenschützer eigentlich gar nichts schützen. Unlängst erhielt ein Freund von mir vom Eidgenössischen Datenschützer Bescheid, sein Anliegen falle leider nicht sein Tätigkeitgebiet. Dieser Freund verlangte vom Datenschützer, er möge seinen ehemaligen Arbeitgeber dazu bringen, sämtliche über ihn gesammelten Daten rauszurücken. Er solle sich an die Gewerkschaft wenden, hiess es.

Facebook finde ich lustig. Google Street View auch. Datenschützer dagegen gehen mir mehr und mehr auf den Wecker, weil sie an den Menschen vorbeischützen. Was Facebook und Co. betrifft, würde nämlich ein einfaches Merkblatt zum richtigen Verhalten reichen - mich vor filmenden Augen und weltweiter, amtlicher Registrierung zu schützen, würde etwas mehr Arbeit bedeuten.

6 Kommentare:

Metallschaedel hat gesagt…

Dem gibt's nichts anzufügen.

Benno hat gesagt…

Die Konsumentenschützer sollten sich mal mit dem Bundesamt für Gesundheit kurzschliessen. Die wissen nämlich wie man Grossmutters Tipps geschickt auf ein offizielles Merkblatt bringt. Natürlich braucht man auch dort ein schlagkräftiges Label... -> Schweinegrippe! ;-)

...two thumbs up für diesen Beitrag!

schwarzer kafka hat gesagt…

Du sprichst mir wieder einmal aus dem Herzen, lieber Goggimaa!

Goggi hat gesagt…

Danke, Danke, Danke

Ich sollte Texter werden.

:-)

grunet hat gesagt…

Toller Beitrag... wobei du jedoch auch daran denken solltest, dass nicht alle Facebook User gleiches Verhalten aufzeigen wie du. Es gibt genügend Leute, welche sehr viel von sich preisgeben über Facebook. "Ich bin dann mal für zwei Wochen in den Ferien" (Freibrief für Einbrecher).

Aber wir müssen uns nun mal daran gewöhnen, dass wir überwacht werden. Sei das vom Staat oder von Privatunternehmen. Die freie Kommunikation ist schon lange tot!

Und jetzt soll der FCA mal endlich dampf gegen die Walliser machen:)

Goggi hat gesagt…

Ok, grunet - das mit dem Wallisern hat nicht geklappt.

Was die 2 Wochen Ferien angeht - sorry, aber schützen der Privatsphäre ist ok, aber den Leuten lehren, sie dürfen ihre Abwesenheit nicht an die Hauswand malen, das ist nicht Thürs Aufgabe