Mittwoch, 21. Oktober 2009

Gerechtigkeit

In diesen Minuten werden Urteile gefällt, welche für die betroffenen Menschen nachhaltig sein werden. Sie alle haben nicht vorsätzlich jemanden getötet, doch will man ihnen Schuld zuweisen: Der Kompaniekommandant, der bei einem Bootsunfall auf der Kander fünf Kameraden in den Tod führte wird der mehrfachen fahrlässigen Tötung beschuldigt. Der 22 Jährige Marcel M. wird beschuldigt, mit einem gezielten Faustschlag Nicky Hoheisel niedergestreckt zu haben, der später an seinen Verletzungen verstarb. Und eine Angestellte des Strassenverkehrsamtes soll schuldig sein, dass ein 82-Jähriger ein Mädchen überfuhr.

Während der Militär-Kommandant eben zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt wurde und man sich daraus Gerechtigkeit erhofft, sorgte gestern ein Urteil für Aufsehen, als die Beschäftigte eines Strassenverkehrsamtes frei gesprochen wurde, der am Tod einer 16-jährigen Velofahrerin eine Mitverantwortung angelastet wurde. Das getötete Mädchen wurde von einem halbblinden, 82-jährigen Autolenker überfahren, dem die beschuldigte Angestellte unrechtmässig die Fahrbewilligung ausgehändigt haben soll. Ärzte, die den alten Mann über seine Fahrtauglichkeit zu beurteilen hatten, wurden zuvor schon von jeglicher Schuld freigesprochen und nach dem gestrigen Urteil ist klar: Niemand trägt Schuld.

Ein schwacher Trost für die Eltern der 16-jährigen. Ich frage mich, wie sie fühlen. Geht es den Hinterbliebenen des Kander-Unfalls wirklich besser? Wie sieht es mit den Angehörigen der Beschuldigten aus? Den Beschuldigten selbst? Keiner wollte dem anderen Schaden und doch sind die geliebten Menschen nicht mehr da. Wie genau sieht Gerechtigkeit eigentlich aus?

Im "Fall Nicky" wird in diesen Minuten geurteilt. Der Staatsanwalt fordert 6 Jahre, der Verteidiger einen Freispruch. Nach den schwammigen Zeugenaussagen vor Gericht scheint längst nicht mehr so klar zu sein, wer denn nun den entscheidenden Faustschlag versetzt hat, der letztlich zum Tod von Nicky führte. Im Endeffekt scheint es darauf hinaus zu laufen, dass zwar viele da waren, einige davon sich an der Schlägerei beteiligt haben - aber letztlich trägt niemand Schuld.

Vielleicht kommt es zu einer Verurteilung, vielleicht wird diese angefochten. Sicher ist, dass in diesen Tagen niemand mit Zufriedenheit den Gerichtssaal verlassen wird. Denn Gerechtigkeit gibt es nicht, und wirklich Schuld trägt ja auch niemand. Bleibt also nur die Hoffnung, dass alles einen Sinn ergibt, wenigstens jenen, dass daraus die richtigen Lehren gezogen werden und Hinterbliebene, Betroffene und Angehörige nicht noch mehr Menschen verlieren müssen

Weiterlesen:
Die Gedanken sind bei Nicky
Fall Nicky: Die Anklage lautet Todschlag
Das böse Internet (Der original Artikel wurde aufgrund einer Klageandrohung gelöscht.)

Bild: Der temporäre Gerichtssaal im KuK in Aarau (via 20minuten)

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