Montag, 11. Oktober 2010

Der Aargau, das Raserparadies

Der Kanton Aargau gilt gemeinhin als Durchfahrtskanton, zwischen Bern, Basel und Zürich, mit schönen geraden Strecken, die geradezu einladen, den Kanton selbst auf Nebenstrassen möglichst schnell zu durchqueren. Was als Sarkasmus zu verstehen ist und gelegentlich als Gegenstand für verschmähende Witze herhalten muss, wird vom obersten Gericht des Kantons Aargau geradezu offizialisiert: Raser haben hier ein leichtes Leben.

Wie die „az“ in ihrer Ausgabe vom Montag schreibt, wurden in drei extremen Fällen gegen Raser erstinstanzliche Urteile deutlich gemildert – und zwar dank dem neuen Strafrecht, das seit 2007 gilt. Die von Autorin Rosmarie Mehlin beschriebenen Fälle hatten allesamt den Aargau als Tatort. Das Bezirksgericht fällte im „Fall Muri“ ein drakonisches Urteil von 7 Jahren Haft, ehe das Obergericht auf Druck des Bundesgerichts die Strafe auf magere 3 Jahre Haft senken musste. Doch auch die lokale Justiz mag Raser: Das Aargauer Obergericht wandelte eine zweijährige unbedingte Gefängnisstrafe in eine unbedingte um: Der Raser, der mit 130 km/h ausserorts eine Velofahrerin getötet hatte, kam praktisch straffrei davon. Mit Bewährungsfrist – die bekommt man im Aargau aber auch aufgebrummt, wenn man unangegurtet und ohne Brille in den Quartierladen fährt und erwischt wird. Auch der Autofahrer, der im Freiamt mit 160 km/h in ein anderes Auto gedonnert war, muss nicht 3 Jahre ins Zuchthaus, wie es das Bezirksgericht wollte, sondern sich lediglich eine Zeit lang schadlos halten, um die vom Obergericht gefällten 22 Monate bedingte Gefängnisstrafe nicht doch absitzen zu müssen. Als Vorbestrafter dem der Lernfahrausweis zuvor schon entzogen wurde, notabene. Auch Fahren in stark betrunkenen Zustand wird im Aargau belohnt: Bedingte Strafe für einen Mann, der bei einem Unfall mit einem Sportwagen einen seiner sechs(!) Beifahrer getötet hatte.

Man mag nun ins Feld führen, dass selbst nach unbedingten Strafen das Leben der (zumeist jugendlichen) Täter zerstört sei. Für Kosten der Gerichte, den ausgesprochenen Bussen und für den angerichteten Schaden bezahlen Verurteilte ein Leben lang. Angesichts der Folgen ihrer Tat ist das aber auch richtig so. Der Einwand „du wärst auch froh, wenn du noch eine Chance hättest“ zählt nicht. Jeder, wirklich jeder hat nämlich eine Chance. An dem Tag nämlich, an dem ihm der Fahrausweis ausgehändigt wird. Mit diesen lächerlichen Gerichtsurteilen fährt bei jedem Raser der Gedanke mit: „Einmal darf ich töten, die geben mir ja eh noch eine Chance“.

Solothurn: Wird die Stafe
auch dafür gemildert?
Vor ein paar Jahrzehnten stand nach der Überquerung der Kantonsgrenze in den Aargau, auf allen Autobahnen „Willkommen im Aargau. Gute Fahrt!“. Die Schilder wurden wohl aus touristischen Aspekten wieder abmontiert. Vielleicht befand der eine oder andere Sicherheitsexperte sogar, das sei geradezu eine Einladung zum Gasgeben. Mit gespanntem Blick und der Hoffnung, die Täter würden tatsächlich bis zu 8 Jahre von der Bildfläche verschwinden, schauen wir deshalb in den Nachbarskanton Solothurn, wo in zwei Wochen der „Fall Schönenwerd“ beurteilt wird. Erstinstanzlich beurteilt wird, muss man dazu leider sagen.

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