Der FC Aarau ist gestern Abend, um 22.10 Uhr, aus der Super League abgestiegen. 1:4-Niederlage gegen GC bei gleichzeitigem Sieg Bellinzonas in Sankt Gallen. Nach 56 Jahren wurden die Unabsteigbaren zu den Untröstlichsten Fussballer der Nation. Unter den digitalen Artikeln bei Fixundfoxi-Online wechseln sich seither in Sekundenschnelle hämische Sprüche und pure Schadenfreude gegenseitig ab. "Nie wieder Brügglifeld" freute sich beispielsweise Benutzer "Baselforever", mit einem "Ciao Drecksclub" verabschiedete sich ein Luzerner in einer Art wie man es von Luzernern nicht anders erwarten konnte. Wie auch immer: der Abstieg ist verdient.
Wenn es wenigstens zu wilden Szenen gekommen wäre. Tobende Fans. Fluchende Spieler. Sich anbrüllende Funktionäre. Nichts dergleichen. Bis auf ein paar Rempler unter solchen die sich später wieder vertragen würden, applaudierte das Publikum artig beim Rundlauf des Ivan Benito. Einige Zuschauer versuchten den Spielern sogar eine Welle abzuverlangen. Würde man es nicht besser wissen, wähnte man sich eher an einer Zirkusveranstaltung, bei der sich die Artisten nach getaner Arbeit nochmals heroisch dem Publikum stellten. Tatsächlich aber hatten die Protagonisten eine indiskutable 1:4-Klatsche verpasst bekommen und ein Haufen identifikationsloser Möchtegernstars haben der erfolgreichen Tradition des FC Aarau emotionslos den Todesstoss verpasst. Kaum ein Spieler der resigniert am Boden kauerte, mit seinen Tränen blieb der Torhüter unter seinen Weggefährten alleine - im Gegenteil: Kaum zwei Stunden nach dem Abstieg waren Facebook-Meldungen zu lesen, die eher auf einen ereignislosen Tag hinweisen. So wird es wohl gewesen sein.
Geh' ich halt Basel schauen
Die Aarauer Mentalität ist eine ganz Besondere. Man braucht die Brechstange um einen Funken zum Überspringen zu bringen und 90 Minuten auf der Haupttribüne sind wie ein Vortrag von 1'000 Frustrierten, die jeden Grashalm schlecht zu reden im Stande sind. Es ist fast wie in einer Ehe. Die Fähigkeit das "Kleine" zu schätzen ging vielen Fans in den letzten 30 Jahren verloren. Der Mythos der Unabsteigbarkeit war gleichzeitig ein Fluch, denn die Zugehörigkeit zur höchsten Fussballliga ist längst emotionstötende Selbstverständlichkeit geworden. Der Schock des Abstiegs hatte gestern Abend offenbar ein Leichtes, die langjährige, aber eingerostete Liebe der Fans zum FC Aarau ohne Anlauf zu zerschmettern. Mehr als nur einmal war zu hören, dann gehe man nächstes Jahr halt Basel schauen. Für mich klingt das wie: Geh' ich halt ins Puff, wenn die Alte nicht mehr will. Den Wortfetzen "Schlampen-Fans" habe ich gehört - vermutlich das Antonym zu "Modefans". Aarau per sempre und bis in den Tod... jaja wir werden sehen...
Helden sind gefragt!
Einmal abgesehen von der 1%-Chance, dass der AC Bellinzona auch in zweiter Instanz die Lizenz verweigert wird und Aarau den Barrageplatz "erben" könnte, bleibt eigentlich nur noch, das Positive herauszufiltern. Fünf Stunden nach dem Abstieg, zugegebenermassen kein leichtes Untefangen. Und doch: Endlich können sich jene positiv hervortun, die seit Jahren finden, ein Abstieg täte Aarau gut. Endlich müssen sich Pioniere der Organisation nicht mehr verstecken, wenn es um die Neustrukturierung eines gesamten Vereins geht. Endlich kann man das Geld doch noch locker machen, das man ganz sicher nicht dieser Zusammenstellung der Mannschaft geben wollte. Ich freue mich auf die zahlreichen Nörgler, die jetzt alles besser machen - oder es schon immer wussten - was auch immer. Tretet vor und zeigt uns, wie man es richtig macht, denn: Helden braucht das Aarauland!
Übrigens, ein paar davon haben wir schon. Jene, die heimlich im Hintergrund ihre Arbeit mehr als Ordentlich gemacht haben. Die Damen vom Sekretariat zum Beispiel. Der Mann von der Beschallung. Und alle sechs Speaker. Die Poeten der Matchzeitung und der Mann, der die Totomat-Tafeln drehen lässt. Der Internet-Chef, der Rasnmäher-Mann, die Wäsche-Frau und der stets elegant gekleidete und sehr freundliche Türsteher. Die Billet-Kontrollösen, die Wurst- und Fanartikelverkäufer. Imfall: Das waren die, die bittere Tränen geweint haben. Und dem Typen, der gestern zu monsieurfischer gesagt haben soll, "Männer weinen nicht", sei an dieser Stelle nachträglich der Mittelfinger unter die Nase gestreckt. Denn wir sind Aarau, ganz tief im jetzt noch verletzten Herzen. Aber wir werden wieder aufstehen und es allen zeigen! Per sempre und bis in den Tod.
Na, da staunt ihr, liebe Bisler, Güller, Lutscher und Zirchür, die ihr "Nie wieder Brügglifeld" gesungen habt. Und viel Spass in der Zwischenzeit mit dem Hexenkessel in dem GC spielt und anderen Stadiönnern mit Laufbahn drumherum. Voll das Fussball-Feeling. Aber wir kommen zurück, mit einem viel grösseren Herzen.
7 Kommentare:
Schön gesagt goggi!
Es sitzt tief, aber einmal Aarau immer Aarau. und wer weiss....
Gruss Munti
word!
Lieber 4 mal im Jahr Tessin als auch nur einmal Aarau oder, Gott bewahre, Thun... Nur schon wegen eurem Sicherheitschef, der denkt er sei Judikative, Legislative und Exekutive und Personalunion, gönne ich euch den Aschied von ganzem Herzen.
gut geschrieben!
word.... guet gschrebe goggi
Manuel Oberentfelden
Danke Goggi, ich kann dir in allen belangen nur zustimmen.
Mir kamen beim lesen echt die Tränen...
sehr schön gesagt :) wirklich :)
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