Live-Blogging, Samstag, 10.00 Uhr, Intercity Zürich - Visp. Viele Familien drängen sich mit Taschen beladen durch die Abteile, suchen Platz nachdem sie vom Anschlusszug hierher gehetzt waren, wollen endlich absitzen, doch der Zug ist voll. Nicht etwa schneller gewesene Familien oder tüchtige Pendler sitzen auf den rar gewordenen Plätzen, nein, es ist eine Art Passagiere, die jederzeit Platz und Musse besässe die Welt zu bereisen, doch nur dann auftaucht, wenn man sie am wenigsten erträgt: Pensionierte.
Es ist wie im Migros-Restaurant um die Mittagszeit. Längst haben sich die betagten Menschen untereinander ausgetauscht, dass um 11 Uhr 45 das arbeitende Volk in die Selbstbedienungsrestaurants der Grossverteiler strömt. Was also ist zu tun? Genau. Um 11.40 Uhr den Arbeitern den Weg versperren und die besten Plätze wegnehmen, indem Spazierstock und leichtes Jäckchen klar markieren, dass dieser Sechser-Tisch gefälligst bsetzt ist.
Nicht anders sieht es im hintersten, also für brüchige Knochen am weitesten entfernten Zugswagen der SBB aus. Der als "Familienzug mit Spielabteil" bezeichnete Wagen ist gerammelt voll mit Pensionären. Viererabteile in denen sich nebst einem (einzigen) Rüstigen natürlich auch Tasche und Rucksack befindet - je Einzelplatz notabene - sodass auch der vierte Sitz unbrauchbar wird. Ein freundliches "ist hier noch frei?" wird zwar nicht verneint, aber unter protestierendem Blick nur, werden Taschen und Rucksäcke widerwillig und unter Ausstoss von deutlich hörbaren Atemgeräuschen wegbefördert.
10.35 Uhr. Irgendwie kommen wir doch noch zum Sitzen. Auf drei Abteile verteilt zwar, aber immerhin sitzen wir. Wie auf dem Fernsehkanal von SF Info wiederholt sich nun der strafende Blick der Pensionäre im Fünfimutentakt, weil wir nacheinander Brote, Süssigkeiten, Getränke, Lektüre, PC und nörgelnde Kinder auspacken. Der Gang aufs WC wird der brüchigen Knochen die den Weg versperren zur Tortur. Selbst die alten Beine die sich unter den Kindertischchen hervorzwängen werden nur widerwillig zur Seite genommen. Ist man dann zurück von der Tortur, ist der hart erkämpfte Platz leider schon wieder besetzt. Nicht mit einem fremden Passagier - auch nicht mit einem Pensionär, nein, viel schlimmer noch: mit der Tasche eines Pensionären, der diese unter Herzinfarktrisiko unter dem Sitzplatz ausgegraben hatte und nun wieder dorthin verstauen muss, weil wir dummerweise zurückgekommen sind. "Ich habe gedacht sie sind gegangen" ... sind wir aber nicht. Wir fahren noch bis Visp und es bleibt nur noch die Hoffnung beim nächsten Zwischenhalt ergreife der eine oder andere Taschendeponierer die Flucht...
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