Montag, 9. August 2010

Mama

Als ich so klein war, wie heute mein Sohn, vielleicht etwas jünger, feierte die Migros Genossenschaft ihr 50-jähriges Bestehen. Meine Mama arbeitete damals in der Schoggifabrik, was uns Kindern zur Weihnachtszeit immer mal wieder Ostarhasen bescherte. Es gab ein risiges Fest und ich erinnere mich, dass die Migros runde Buttons verteilte, mit einer orangefarbenen 50 auf grünem Grund. Dieser Button steckte lange Zeit im Portemonnaie meiner Mama und ich bestaunte ihn immer und immer wieder. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass ich mir damals fest vorgenommen hatte, dass wenn meine Mama einmal sterben würde, ich den Button haben will, mitsamt dem braunen Geldbeutel, der mich dann immer an sie erinnern würde.

Damals waren solche kindlich-unschuldigen Gedanken noch erlaubt und keiner dachte ans Sterben und wenn, dann war das noch in weiter Ferne. Erst später erwischte ich mich, wie ich bei jeder unschönen Vorstellung den Kopf schüttle und mir sage: "weg mit diesem Gedanken". Vielleicht ist es die Befürchtung, daran zu denken würde das Ereignis fördern, vielleicht ist es einfach ein blosses Verdrängen von möglichem Schmerz, dass wir anfangen so zu denken.

Das war vor 35 Jahren und meine Mama 43 Jahre alt. Wirklich nicht ein Alter, bei dem man ans Sterben denkt. Doch welch gnadenloser Zyklus das Leben doch kennt. Ich bin 41, Renato ist 9 und erst vor kurzer Zeit drückte er diverse Dinge an sich und versicherte, wie wichtig sie ihm seien und er wolle sich von diesen Erinnerungen nie im Leben trennen. Auch Gian, 6-jährig, ist sich ganz sicher, dass der Traktor vom Opa dereinst ihm gehören werde, wenn dieser mal sterben wird. Ich wünschte, mir wäre diese kindliche Unbefangenheit geblieben. Doch drehen sich die Gedanken um die eigene Sterblichkeit, vom Lauf der Zeit unbarmherzig vor Augen geführt.

Meine Mama ist heute 78. Die drei Krebsleiden in den letzten vielen Jahren hat sie tapfer ertragen, medizinische und radioaktive Behandlungen über sich ergehen lassen und Heerscharen von Ärzten experimentierten an ihr herum. Doch die Besuche im Spital, sie häufen sich. Und jedes Mal sehe ich meine liebe Mama, wie sie diesem blöden Krebs immer mehr von ihrem Körper geben muss. Er frisst sie auf, so gnadenlos, wie die Zeit auch uns um die Ohren fliegt. Ich habe keine Ahnung, ob der Button noch in ihrem Portemonnaie festgemacht ist. Es kann sein. Ich schüttle den Kpf und will nicht an ihn denken. Doch lasse ich den Gedanken auch zu, weil der Krebs hat kein verdammtes Recht, meiner Mama weh zu machen. Ich wünschte ich könnte ihr helfen und ich wünschte auch, jemand könnte mir verraten, welches der richtigere Wunsch ist: Meine Mama zu behalten, oder ihr die vielen Schmerzen, den Therapieterror, das Wegbleiben von zu Hause zu ersparen. Sie hat es verdient mit Respekt behandelt zu werden, auch von diesem blöden blöden blöden Krebs.

2 Kommentare:

Marcel hat gesagt…

Oh, das tut mir sehr leid. Das ist schlimm und wir sind in diesen Dingen so klein. Wünsche Deiner Mama von Herzen alles Liebe und dass sie Dir noch sehr lange erhalten bleibt. Liebe Grüße... handle immer nach Deinem Herzen...

Geneviève hat gesagt…

Ach, ich hab einen Klos im Hals... Ich wünsche Deiner Mama und Dir Kraft. Es ist schön, wenn man ein gutes Verhältnis hat.

Ich bin 35 und mein Sohn (5) hat seit ein paar Wochen immer Angst, dass ich sterbe... ich finde es schwierig, ihm den Tod zu erklären.

Ich hatte (habe) manchmal auch solche Gedanken vis-à-vis meiner Mama. Ich kann mir heute nicht vorstellen, dass sie nicht mehr da ist...Aber : that's life...