Magistus stellt die Frage, wo das Auge des Fotografen noch hin sehen darf und wo die ethische Grenze verläuft, die über das Veröffentlichen von Bildern entscheidet. Seine Fragen können nicht abschliessend beantwortet, sollten aber doch kontrovers kommentiert werden. Denn grundsätzlich widerspiegelt eine Fotografie nichts anderes als die Realität. Wie wir mit dieser letztlich umgehen, ist vielleicht sogar die noch interessantere Frage.
1. Wo siehst Du die Grenze für Reportage-Fotografen, z.B. bei Kriegsberichterstattung?
Grundsätzlich kann man jeder Frage vorausschicken: Wir sprechen hier nicht von gestellten Szenen, in denen nach einem Bombenattentat geköderte Opfer, wildfremde Kinder vor den Kameras herumtragen, wie das beispielsweise im Irak passiert ist. Die Fotografie, welche die Realität abbildet darf meines Erachtens keine Grenzen kennen. In einem Kriegsgebiet ist der Fotograf in der Regel nicht der erste, der am Ort zugegen ist. Es ist nicht vorrangig seine Aufgabe, Menschen aus den Trümmern zu befreien. Das mag etwas verwegen klingen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Bilder aus Kriegsgebieten dazu beitragen, dass diese Konflikte nicht in Vergessenheit geraten.
Verwerflich wird es erst, wenn der Fotograf seine Bilder kauft. Wie im eingangs erwähnten Fall im Irak, oder wenn Trümmer "hübsch hergerichtet" werden. Auch nachträgliche Manipulationen, wie die Wasserlache von Luxor, die vom "Blick" kurzerhand Rot eingefärbt wurde gehören in Frage gestellt.
2. Wo ziehst Du die Grenze für Dich selbst (würdest Du z.B. einen Verkehrsunfall mit Verletzten und evtl. sogar Toten fotografieren)?
Stellen wir die Frage mal anders: Wenn Du auf der Autobahn auf der Gegenfahrbahn einen Unfall siehst, mit Polizei und Krankenwagen. Würdest Du abbremsen? Gaffen? Vom Beifahrersitz aus ein Bild schiessen?
Vorsicht mit einem vorschnellen "Nein". Wir alle sind Voyeuristen! Wir schauen die Tagesschau wegen der Todeslawine, der Massenkollision, wegen der gemeinen Entführung und dem hinterhältigen Mord. Und nicht weil Samuel Schmid ein Interview gibt. Wir wollen sehen, wie etwas passiert - womöglich Dinge, die wir nie mehr im Leben zu sehen bekommen. Wie soll ein Fotograf, der diese Denkweise zu seinem Job gemacht hat in einem solchen Moment einfach ausschalten?
3. Wie stehst Du zur Auszeichnung von Fotos, z.B. mit dem World Press Photo Award, die das Leid anderer Abbilden und davon “profitieren”?
Al Gore bekommt Auszeichnungen, weil er über die Umwelt referiert, die kaputt geht. Ulrich Tilgner ist mit Auszeichnungen überschüttet worden und der hat nichts anderes gemacht, als täglich von vielen Toten zu berichten. Das Schaffem der Fotografen muss sogar auf diese Weise honoriert werden. Nur weil dem Konsumenten im wahrsten Sinne das Bild vor Augen geführt wird, ist es weder schlechter, noch verwerflicher als das gesprochene Wort. Um Zeitzeugen aus den Weltkriegen, oder der Zeit vor der Fotografie, wäre man heute noch so froh. Sie können der Menschen dereinst dienen, nie wieder dahin zurück zu wollen.
4. Denkst Du, dass man mit der Fotografie tatsächlich etwas bewegen, also z.B. die Welt aufrütteln kann und rechtfertigt das dann die Fotografie “um jeden Preis”?
Kann ein Bild etwas bewegen? Vielleicht nicht heute oder morgen. Bilder gewinnen an Wert, wenn sie weit davon entfernt sind von dem, was wir sowieso jeden Tag sehen. Die Golden Gate Bridge in San Francisco wird Schätzungen zu Folge täglich 100'000 Mal fotografiert. Trotzdem wird das Bild in 200 Jahren ein wertvolles Zeitdokument sein. Genau so, wie es Tontöpfe in der Römerzeit zu Abermillionen gab: heute stellen wir sie in Museen auf. Ob dies ein "Bild um jeden Preis" rechtfertigt, sollten sich eher Paparazzis fragen, die keine Gelegenheit auslassen Peinlichkeiten aufzudecken.
5. Wahrst Du selbst schon mal in der Situation, in der Du überlegt hast, ob Du eine bestimmte Situation ablichten sollst/kannst/darfst oder nicht? Wie hast Du Dich entschieden und warum?
Nein, dazu ist es nie gekommen. Obwohl auch mein Fotoarchiv an die 22'000 Bilder umfasst, habe ich erst einen einzigen ablichtenswerten Unfall erlebt und in meiner voyeuristischen Veranlagung (siehe Frage 2) einfach abgedrückt. Die Situation hatte mich nicht betroffen, Helfer waren vor Ort, hinter mir lagen 243 Meilen Nevada-Wüste.
Wenn ich das so schreibe, huscht ein Bild durch meine Gedanken: Ein Vater sitzt am Sterbebett seines Sohnes, der Krebs hat. Wäre es verwerflich ein letztes gemeinsames Bild zu machen? Was würde in diesem Moment den Fotografen vom Mann im Irak unterscheiden, der die leidende Mutter fotografiert?
In diese Ausführungen sind Eindrücke eines Gesprächs eingeflossen, das ich mit einem Redaktor der NZZ geführt habe. Nach diesem Gespräch hatten wir keine Antworten, nur noch mehr Fragen. Aber das macht nichts, denn grundsätzlich ist es besser sich damit auseinandersetzen und sein Tun ständig im Bewusstsein zu halten.
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