Im Kanton Aargau stimmt das Volk bis zum Wochenende vom 17. Mai 2009 über eine umfassende Bildungsreform ab. Diese setzt sich aus vier Teilen zusammen und wird deshalb als Bildungskleeblatt bezeichnet. Ausserdem wird zusätzlich eine Verfassungsänderung notwendig, weshalb über insgesamt 5 Vorlagen abgestimmt wird. Der Goggiblog zerpflückt die nächsten Tage dieses Kleeblatt und gibt die Einschätzung aus Sicht eines Familienvaters wider. Es sei mit aller Deutlichkeit festgehalten, dass eine Meinung nie auf Tatsachen, sondern auf dem beruht, was man in den Medien, von Nachbarn und Freunden und im eigenen Leben mitbekommen hat.
Das Bildungskleeblatt 1 - Eingangsstufe
2x NEIN
Das wohl umstrittenste aller Kleeblattteile ist die Einführung einer Eingangsstufe, auch Basisstufe genannt. Die Vorlage sieht vor, dass der Kindergarten abgeschafft wird. Es wird zwar behauptet das stimme so nicht, Tatsache ist aber, dass der Quartierkindergarten abgerissen wird und der vierjährige Knirps einen ungleich längeren Weg bis in die Schule zurück legen muss. Alleine dieser Umstand ist dermassen unpopulär, dass sich kaum jemand dafür erwärmen kann. Jeder der selber im "Chindsgi" war, hat beste Erinnerungen daran und ich persönlich empfand die Zeit als sanfte Annäherung an den brutalen Schulalltag, wie er sich später gebärden sollte. Wer heute selber Kinder in den Kindergarten schickt, weiss wie erschöpft sie vor allem im ersten Jahr nach Hause kommen. Wollen wir unseren Kleinsten wirklich einen Schulweg zumuten, der doppelt so lang ist und an gefährlichen Strassen vorbei führt?
Dazu kommt, dass in der Eingansstufe (auch Basisstufe genannt) vier Jahrgänge im gleichen Klassenzimmer unterrichtet werden. Ich versuche mir das plastisch vorzustellen: In der Ecke hinten bauen die Vierjährigen mit Klötzchen und vorne rechts versuchen sich die Zweitklässler auf die Rechenaufgabe zu konzentrieren. Wie werden Ausflüge in den Wald organisiert, die man als Kindergärtler so schätzte? Gehen die Grossen dann mit? Wer kümmert sich um die zu bindenen Schuhe, um die Kleinen die aufs Klo müssen und sich selber nicht trauen? Verträgt sich die Unbekümmertheit der Vierjährigen mit der Disziplin des Aufstreckens, bevor man etwas sagen darf? Wo bleibt die zeitliche "Knautschzone", in der sich Eltern und Kinder täglich bis zu einer halben Stunde Zeit lassen können, sich voneinander zu trennen? Man könnte sie auf Vor-dem-Unterricht verlegen, sagen die Befürworter. Und wenn man mehr als zwei Kinder hat? Geht dann das Frühstück einfach flöten?
Das beste Argument gegen das Bildungskleeblatt 1 lieferte ironischerweise die Befürworterin Lotty Fehlmann Stark (SP), Einwohnerratspräsidentin der Stadt Aarau. Sie sagte an einer Podiumsdiskussion, dass solche Details noch nicht endgültig geklärt seien. Es gehe bei der Abstimmung auch vielmehr darum, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Fazit: Selbst wenn die Vorlage "Schulgesetz (Eingansstufe)" (Bildungskleeblatt 1) sämtlichen bildungspolitischen Aspekten standhalten würde, ist sie wegen der praktischen Abschaffung des Kindergartens völlig unpopulär. Dazu kommen viele ungeklärte Fragen und zwar in einem Bereich in welchem nicht die Logik, sondern das Bauchgefühl entscheidet. Und ein schlechtes Gefühl führt tendenziell eher zu einem Nein. Für die Einführung der Eingangsstufe ist ausserdem eine kantonale Verfassungsänderung nötig - auch über diese wird am 17. Mai abgestimmt.
Für mich 2x ein klares Nein. Ich rechne sogar damit, dass die Vorlage mit einer Zweidrittelsmehrheit abgelehnt werden könnte.
Weiterlesen:
Bildungskleeblatt 2 - Harmonisierung der Schulstrukturen
Bildungskleeblatt 3 - Tagesstrukturen
Dienstag im Goggiblog: Bildungskleeblatt 4: Der Sozialindex
2 Kommentare:
Zuerst: Dein Artikel ist auswogen und ehrlich.danke!
seit ich in der schulpflege bin erlebe ich gewisse dinge und themen ganz anders, ich bin mir als mutter aber eigentlich klar, dass ich die Grund+Basis Stufe unterstützen werde.Aber vielleicht auch nur, weil ich einen Sohn habe, dem es immens gut getan hätte, er wäre mit 5 bereits in sowas gewesen.
Darin sehe ich offen gestanden ein weiteres Problem: Den einen Kids tut's gut mit 4 in die Schule zu gehen, für andere ist es mit 5 noch zu früh. Die Staatliche Vorschrift dass ein Kind das am 30.Juli 4 geworden ist, am 9. August in die Schule MUSS, entzieht den Eltern jegliche Mitbestimmung. Heute ist sind es weitgehend die Eltern die den Eintritt in den Kindsgi bestimmen. Erst wenn man als Eltern findet, nach dem grossen Kindsgi sei das Kind noch nicht bereit für die Schule, wird man via Schulpsychologischen Dienst gehen müssen. Dieser Gang zum Psychiater würde man praktisch vorverlegen. Und sorry - Dreijährige sind NIE alle gleich weit und ein Dreijährige schleppe ich SICHER NICHT zum Psychi, weil er einer gesellschaftlichen Norm offenbar nicht gerecht wird.
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