Montag, 14. Dezember 2009

Jeder Rappen nervt

Nichts gegen endlose Solidaritätsbezeugungen für Minderheiten oder gegen Ungerechtigkeiten. Nichts gegen die Rettung der Menschheit vor sämtlichen Krankheiten - auch wenn noch unklar ist, wo wir die alle hin täten. Doch bei monstermässig inszenierten Sammelaktionen wie sie derzeit das Schweizer Staatsmedium mit "Jeder Rappen zählt" an den Tag legt, bleibt unweigerlich eine gehörige Portion Nebengeschmack. Hauptprofiteur der Aktion sind nämlich nicht die Menschen in Afrika, sondern die Pharmaindustrie.

Ok, Malaria ist eine schlimme Krankheit. Mein Vater hatte sie als er noch Kind war und nach dem Verabreichen der Medikamente durchlebte auch er noch zwei Wochen lang die Hölle. Dass man den Menschen Zugang zu den Medikamenten verschaffen will ist eine gut gemeinte Aktion. Sobald ein Spendenmarathon aber im grossen Rahmen veranstaltet wird, steigt ebenso die Anzahl derer, welche von diesen Geldern was abhaben wollen. Das fängt im Fall von "Jeder Rappen zählt" an bei der Lizenz des Sendeformats, die man den Holländern abgekauft hatte; geht über Bauten und technische Einrichtungen auf dem Bundeshausplatz, die man nicht für reine Herzensgüte geschenkt bekommt; bis hin zu den Salären und Entschädigungen der Promi-Moderatoren, die sich auf Knopfdruck gut gelaunt, während einer Woche in einem Glashaus in Bern einsperren lassen. Grösster Profiteur der Aktion ist allerdings eine ganz andere: die Pharmaindustrie. Pharmaindustrie notabene, die ihrerseits für die Forschung nach Malaria-Medis kaum Mittel einsetzt.

Weltweit wird von der Pharmaindustrie heute doppelt so viel Geld im Kampf gegen Haarausfall oder Potenzverlust eingesetzt wie gegen Malaria, Gelbsucht und Bilharziose zusammen.


Der Grund ist einfach: Der Markt für Potenzmittel ist um einiges lukrativer als jener, in dem sich die ärmsten Menschen dieser Welt durchs Leben quälen. Bei allem Respekt gegenüber dem guten Willen, gegenüber jedem Rappen den man gutmütig den Malariagefährdeten Menschen zu schenken glaubt: Das Radio- und Fernsehen-Theaterstück frisst schon mal einen Teil der Spenden weg und geholfen wird letztlich vor allem der Pharmaindustrie, von der bis Ende der einwöchigen Aktion kein einziger Rappen kommen wird.

Und was bei der brutal herzergreifenden Spendenwut aller Promis, die plötzlich irgendeinen persönlichen Bezug zu Malaria zu haben scheinen, gerne vergessen wird: Es gibt in der Schweiz einige ungeklärte, mindestens ebenso schlimme Krankheiten, die einer Spende bedürften. Cystische Fibrose zum Beispiel, eine Fehlfunktion der Lunge, an der in der Schweiz Tausende von Menschen leiden. Oder Ciliäre Dyskinesie. Schon mal gehört? Klingt halt nicht so schick wie "Malaria". An dieser Fehlanordnung von Organen leiden im deutschsprachigen Raum rund 10'000 Menschen. Die Lebenserwartung bei beiden Krankheiten liegt bei etwas über 40 Jahren, die Medikamente kosten ein Vermögen und das Leben der Betroffenen und deren Angehörigen ist ein Leben lang eingeschränkt.

Es geht nicht darum, die gut gemeinte Aktion wie "Jeder Rappen zählt" schlechtzureden. Es geht nur darum, den bedürftigen Nachbarn nicht zu vergessen, dem eine Direktzahlung zu 100% zu Gute käme. Für viele dieser Menschen stimmt die Aussage "Jeder Rappen zählt" genau so. Aus deren Betrachtungswinkel ist der (zu) gross angelegte Spendenaufruf fast schon ein Schlag ins Gesicht - denn viele Spender sehen in der 20er-Note, die sie dem Nik Hartmann für einen Musikwunsch durch den Spenderschlitz stecken, ihre Schuld für diese Weihnachten als getan.

Und aus meiner ganz persönlichen Sichtweise fängt jeder Rappen der künstlich zum Hauptereignis hochgejubelt wird, unter all diesen Gesichtspunkten sogar langsam an zu nerven.

12 Kommentare:

Christina Lang hat gesagt…

die Spenden gehen via Glückskette an Hilfsorganisationen - ich mach gleich in den Discussions hier oben weitere Infos parat. Oder Du schaust hier rein: http://www.jrz.ch/www/de/drs3/jeder-rappen-zaehlt/verstehen.html

Goggi hat gesagt…

DAS sollte man vielleicht nicht in eine Discussion verstecken sondern mindestens ebenso promoten wie der fast schon nervtötende Aufforderung zu spenden spenden spenden. Und nochmal: Irgendwie vermittelt die Aktion, ausser Malaria gäbe es keine anderen Leiden und schon gar keine Bedürftigen in der Schweiz. Aber das ist ein anderes Thema.

Ad Astra hat gesagt…

Cumulus Aktionen in der Migros werden auch nicht vor dem Coop beworben. Big Up Scom, Pst, DrsSF4 usw. Swiss4Life LoveAid Africa war auch nichts anderes. Aber jeder Rappen ist was wert, da hiermit direkt in den Kriesengebieten geholfen wird. Nicht? Finds voll ok, kostendeckend und super Sache für die Glückskette und Schweizer Radio-TV Landschaft. Best Sendung im Fernsehen seit oops

Goggi hat gesagt…

Naja beste Sendung? Da bin ich für Giacobbo/Müller. In der Zwischenzeit warte ich auf die Millionenzusage von Novartis.

Goggi hat gesagt…

Und noch einmal @ Christina: Klar gehen die Spenden an die Hilfswerke. Diese kaufen damit Medikamente. Voilà - und schon ist das Geld wieder (u.a.) in der Schweiz wo es für Haarwuchsmittel-Forschung eingesetzt wird...

DZ hat gesagt…

Klar gehen die Spenden an die Hilfswerke. Diese kaufen damit Medikamente. Voilà - und schon ist das Geld wieder (u.a.) in der Schweiz wo es für Haarwuchsmittel-Forschung eingesetzt wird...

Immerhin kommen die Bedürftige ihre Medikamente.
Finde die Aktion voll ok.
Was die Hysterie um die Schweinegrippe angeht, ist es ja nicht viel anders was die Pharmaunternehmen angeht, oder...?

schwarzer kafka hat gesagt…

lieber goggi, warum nur musst du einen auf ueli schmezer machen, gopf! liebs grüessli

Goggi hat gesagt…

Weil Dinge hinterfragen immer auch Grund für Nachdenken ist und ich der Typ bin der nicht einfach fröhlich in jeden Mainstream einlenkt und zu seinen Zweifeln stehen kann bevor er ein Ja einlegt?

Mir ist die Aktion zu gross und zu einseitig. Und deshalb habe ich heute einen Bub ein Geschenk besorgt, dessen Eltern es sich nicht leisten können.

jrz nervt hat gesagt…

Danke Goggi!

Endlich habe ich jemanden gefunden, der meine Skepsis gegenüber dieser Aktion teilt.

Habe soeben auf der jrz Seite gesucht, ob ich irgendwo eine genaue Auflistung finde, was der Spass kostet (inkl Lizenz an Holland, Glaskasten, Technik etc), oder wieviel die Sponsoren beisteuern. Habe nicht die Bohne an Info gefunden.
Das irritiert mich, da wir als fleissige Billag-Zahler ja schlussendlich den ganzen Klamauk finanzieren.

Bin normalerweise regelmässiger DRS3 Hörer, aber momentan ist es unerträglich. SF2 sollte man auch weiträumig umzappen (ausser man möchte sich an SMS-Botschaften der Sorte "ha di meeeeeeega gern min schatz" ergötzen.)

Spenden ja. So - nein danke.

amade.ch hat gesagt…

manachmal staune ich echt ob Deinen (für meinen geschmack) wirren gedankengänge. wenn Du für was anderes spenden willst, dann tu's doch einfach. wenn Dich die seindung nervt, dann schalt einfach um. es gibt immer probleme, die ebenso dringlich oder noch dringlicher wären. das ist aber kein grund, nichts gegen die weniger dringlichen zu machen.

ich bin auch kein riesiger fan, aber hinter dem ganzen fast noch eine verschwörung zu wittern ist der paranoia zu viel.

dinu hat gesagt…

paranoia? ein techniker erzählte mir auf dem bundesplatz, der ganze anlass kostet 2 millionen. von dem ist nur die hälfte von swisscom und postfinance gedeckt und der rest kommt vom spendengeld. misstrauen und ungewisheit ist ein passenderes wort.

JazzSam hat gesagt…

Ich kann mich Goggi nur anschliessen. ZUmal Orange und Swisscom in diesem Jahr kräftig mitkassieren, von den 2.50 Fr, gehen nämlich jedes mal 40 Rappen an die Anbieter. Nur schon wie sich die Moderatoren selbst inszenieren müssen finde ich echt traurig. Auch wenn es immer wieder einige übersehen, es gibt auch in der Schweiz Menschen die am Hungertuch nagen, keinen Job haben, und Weihnachten ohne Freude verbringen müssen. Mich regt die ganze Sendung auf, zumal WIR das ganze mit der Billag finanzieren. Eigentlich müsste man einen Boykott gegen die Sendung starten mit einer DEMO auf dem Bundesplatz. Die Kameras laufen ja schon ^^.