370 Millionen Franken Quartalsgewinn bei der Post, Grossbanken die freiwillig den Zahltag erhöhen und Personalverbände die "garantierten Teuerungsausgleich" (Lehrerverband) fordern. Trotz Krise unterscheiden sich die Meldungen kaum von anderen Lohnrunden-Spätherbsten. Zusätzlich positiv stimmen die zahlreichen Neugründungen von Einzel- und Kleinstfirmen, die der Rezession offensichtlich mit geschwellter Brust oder mindestens mit einer guten Geschäftsidee entgegen treten. Selbst das Migros Magazin widmet den Pionieren der Selbstständigkeit einen würdigen Auftritt und lobt (zurecht) den Mut, den die oft jungen Menschen in dieser schwierigen Zeit beweisen.
Zugegeben, die obige Formulierung ist etwas pointiert. Ich würde mir nicht anmassen den Antrieb Anderer zu beurteilen, wenn ich nicht selber zu jenen jungen Menschen gehörte, die sich aufgemacht haben, sich in die raue Welt der Selbstständigkeit zu wagen. Deshalb erst mal die schönen Seiten der Selbstständigkeit:
Freiheit! Die Freiheit zu entscheiden, wann mein Bürotag beginnt. Freiheit Arbeiten anzunehmen, die mir gefallen und nicht solche die ein Chef nicht machen will. Keiner der mir sagt was ich als nächstes tun muss. Freiheit, sich ein paar Tage frei zu nehmen weil das Wallis ruft und Freiheit, sich jederzeit neu orientieren zu können. Freiheit Geschäfte einzugehen und neue Menschen kennen zu lernen, Zufälle spielen zu lassen oder bewusst zu Verhandeln.
Das war's auch schon. Die Nachteile überwiegen: Hohes Risiko, knappe Kasse, Terminstress, Verpflichtungen gegenüber mehr als nur einem Chef, unpopuläre Entscheidungen fällen, Laptop mit in die Ferien nehmen, allen alles recht machen müssen, keiner der Dir sagt was Du als nächstes tun sollst. Keine Pensionskasse, kein bezahlter und beheizter Arbeitsplatz, keine Kaffeemaschine, keine bezahlten Pausen und schon gar nicht Ferien. Keine aufmunternde Personalzeitung, kein Sitznachbar mit dem sich Quasseln lässt, keine Personalgutscheine zu Weihnachten, keinen Chef dessen Bild man als Dartscheibe brauchen könnte, keine Putzfrau die den Kübel leert. Nichts.
Dennoch würde ich nicht zurück wollen. Die wenigen Vorteile übertrumpfen die zahlreichen Nachteile bei weitem. Das zu behaupten geschieht natürlich mit dem Hintergrund, dass ordentlich Aufträge rein kommen und ich mit meinem Budget 20% über den Erwartungen liege und einige Ziele bereits erreicht sind, die erst Ende Jahr hätten erreicht werden sollten. Das bringt uns unweigerlich zur Frage: Ist der Aufschwung denn schon da?
Die Antwort ist ernüchternd: Nein.
Während die Post Gewinne und Lehrer Forderungen aufgrund gewisser Monopolstellungen deponieren können, gründet die Erfolge der zahlreichen Neufirmen nicht etwa auf ein unglaubliches Auftragsvolumen das aus dem Nichts hergezaubert worden wäre. Der Wachstum basiert tragischerweise auf dem Buckel der Entlassenen anderer Firmen. Während diese noch zähneknirschend und oft entmutigt die Kursangebote beim RAV studieren, sind wir schon einen Schritt weiter. Das hat nichts mit besonderen Fähigkeiten zu tun, sondern ist ein rein zeitliches Phänomen: Vor der Rezession die Stelle verloren zu haben gibt uns heute den entscheiden Vorsprung. Die Firma XY entlässt aus Kostengründen sämtliche Journalisten. Weil die Seiten trotzdem gefüllt werden müssen, profitiert der so genannte Freelancer, der viel billiger ist: keine Lohnnebenkosten, keine Sozialleistungen, keine Ferien, keine bezahlten Krankheitstage, keine Pensionskassenbeiträge, keine Kaffeemaschine, und so weiter.
"Der Aufschwung beginnt im Kleinen" (weiss nicht mehr, stand's im Beobachter?) stimmt deshalb auch nur zum Teil. Zwar häuft sich hier die Arbeit, doch unter dem Strich resultiert ein kleinerer Bruttoumsatz und das Ganze erst noch auf dem Buckel der ehemals Angestellten. Soll ich deswegen ein schlechtes Gewissen haben? Nein. Nach meinem Befinden hat damals auch keiner gefragt und heute gilt der Grundsatz: Nimm, was Du kriegen kannst.
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