Freitag, 27. Juli 2007

Früher war alles besser

Dem Begriff "Früher" stellt das Volksdenken immer gleich ein "war alles besser" hinterher, wahrscheinlich, weil früher alles viel besser war.

Zum Beispiel konnte man gedankenlos in einen Apfel beissen und galt dann als gesund, während heute die Multivitamin-Aktivit-Plus-Konzentrate nur noch bei Unempfindlichkeit auf Glukoseemulatoren und E 301 trinkbar sind. Ähnlich wie Käse nur dann noch geniessbar ist, wenn er aus reinster Kuhmilch gewonnen wird. Als ob je ein Käse aus explizit unreiner Kuhmilch hergestellt würde.

I. Früher

Früher ass man das Marmeladenbrot auch dann noch, wenn es auf den Küchenboden fiel, der natürlich nicht mit einem Molekülstaubfilterfeuchtluftmikropartikelstaubsauger gereinigt wurde, sondern mit einem Wischmop. Und zwar vor drei Wochen. Früher gab es auch noch keine Sicherheitsverschlüsse an Arzneimittelfläschchen und die Colaflasche wurde hemmungslos weitergereicht. Und ist je jemand daran gestorben? Heute scheitert dieses Unterfangen natürlich daran, weil der Durchschnittsmensch kaum noch jemandem begegnet, dem er die Colaflasche weiterreichen könnte. Oder dann höchstens virtuell, aber beim einzigen Versuch war dann die Telefonbuchse so verklebt, dass sich der Swisscom-Techniker, weiss der Geier was gedacht haben muss. Früher spielte man nicht online Star Fleet Commander 17, oder beschäftigte sich mit dem Verfassen von Blog-Einträgen, nein! Früher hatte man Spielsachen aus Holz und sammelte aus purer Freude Rossballen auf, die man dann Grossmutter als Dünger für die Rosen verkaufte. Oder man legte der Lehrerin aus Jux einen Reissnagel auf den Stuhl. Die hat das dann zwar gemerkt und es gab tüchtig eins auf die Finger. Im Gegensatz zu Früher werden aber heute eher psychologische und massiv drakonischere Strafen vollzogen. 10-jährigen wird zum Beispiel das Handy weggenommen. Und das für die ganze Dauer der Physik-Stunde.

Man stelle sich das mal vor! Zustände wie im Mittelalter!

Ganz zu Schweigen von den tempolimitlosen Autobahnen, die man selbstverständlich ohne Sicherheitsgurte bewältigen konnte. Auch Möbel ohne Sicherheitgummi und Sex sowieso mit ohne Gummi galten nicht als vordringlich lebensbedrohlich. Auch weg-bleiben-bis-nach-Mitternacht lag selbst für pupertierende Teenies in kurzen Minis noch bedenkenlos drin und Fussballspielen ohne Stulpen, sowie Rollschuhfahren ohne Ellenbogen- Knie- Handflächeninnenseite- und Kopfschutz gehörte früher zum guten Ton.

Ausserdem war früher die Musik besser.


II. Noch früher

Noch früher wäre günstig gewesen, wenn nach dem Verschlafen nicht auch noch der Bus vor der Nase wegfahren würde und seit gestern erst noch der 2-Stunden-Taktfahrplan gelten würde. Noch früher, so lässt eine Schlussfolgerung aus dem ersten Abschnitt dieses Artikels zu, war alles noch besser. Stimmt das? Telefonieren musste man zwar noch aus der Telefonkabine. Für Bier aber gab es keine Altersbeschränkung und im Dorfladen reichte auch für den leckeren 48-Prozenter ein treuherziger Blick zur Kassiererin, Vati hätte einen geschickt. Oder Mutti, aber die musste eher bei den Zigaretten herhalten. Zigaretten, die übrigens 2 Franken 50 pro Päckchen kosteten und nicht etwa das Doppelte und erst noch in Euro.

Nun gut, alles war noch früher auch nicht gut. Man stellte Wände quer durch Weltmetropolen, lies Kernkraftwerke explodieren, statt dass man sie umständlich herunterfahren musste. Seveso galt in Italien als touristische Attraktion und Chemieunfälle ereigneten sich noch in Schweizerhalle und nicht etwa in China.

III. Ganz früher

Und zu guter Letzt, sei auch noch die Zeit vor unserem Denken erwähnt. Nein, nicht die Zeit vor dem verschlafen, eingebettet im kuscheligen Schlafgemach, wo doch der Bus in 4 Minuten fährt. Auch nicht die durchzechte Nacht, die erst 2 Stunden zuvor ihr Ende fand, soll hier mit "ganz früher" Erwähnung finden, obwohl das Erinnerungsvermögen bei vielen Menschen tatsächlich schon da endet. Gemeint ist das gute alte Mittelalter, als es noch keine Frauenquoten in Parlamenten gab und schon gar keine Frauenparteien, sondern nur Hexen, die gelegentlich auf Scheiterhaufen angezündet werden mussten. Das waren noch Zeiten! Es gab weder Fernseher, noch Game Boys, Vibratoren oder Kochherde. Klimaerwärmung gab es zwar auch schon und das Ozonloch ebenfalls. Nur wusste niemand davon. Trotzdem überlebten man auch damals, wenngleich die Ausbildung kurz nach dem 1x1 wegen eines Bürgerkrieges oder einer kleinen Pest schon mal ein bisschen früher fertig war und irgendwer musste schliesslich den Acker bewirtschaften und in der Kohlemine arbeiten. Wofür sonst hätte man sich früher denn Kinder anschaffen sollen? Komischerweise lebten die allerhellsten Köpfe dieser Welt auch vorallem "früher", was uns zurück in unsere Zeit bringt und die Frage aufwirft, wo bei dem technischen Schnickschnack heutzutage all die proporzional im Verhältnis schlaueren Köpfe alle geblieben sind. Vermutlich haben sie Zeitmaschinen gebaut und sich nach "Früher" verzogen.


IV. Hat "Früher" noch eine Zukunft?

Blöde Frage.


V. Bekannte Zitate

"Früher war alles besser" (alle, in jedem Zusammenhang)

"Wer früher stirbt, ist länger tot" (George W. Bush bei der Rechtfertigung seines Projekts "Guantanamo")

"Früher über dem Berg" (eigentlich ein Schreibfehler von Reinhold Messner, wurde später in ein Selbsthilferatgeber für Depressive umgeschrieben)

"Früher war es Fussball" (Analyse von FCB-Trainer Christian Gross, am 13. Mai 2006 nach dem Spiel gegen den FCZ)
"Je früher desto besser" (irreführender Titel in der Bravo-Aufklärungsseite zum Thema "Kommen" (1979), an den sich aber immernoch 90% der Männer halten)

"Der Mars war früher wie die Erde" (Prof. Dr. Heinze vom geologischen Institut mit düsteren Aussichten für unsere Spezies)

"Früher oder später" (Noch einmal Christian Gross, diesmal mit absurden Zukunftsvisionen)

"Schatz, ich komme früher nach Hause" (eheliche Drohung aus dem Büro, 14.45 Uhr)

"Schatz, ich bin früher zu Hause" (eheliche Drohung vor Ort, 14.45 Uhr und letztlich Scheidungsgrund Nr.1, weil kein passender Schrank im Schlafzimmer steht)

"Wie früher" (FC Luzern-Fan nach dem Wiederaufstieg in die Chellenge League 2009)

"Fryyener" (baseldeutsches Sprichwort)



Diesen Artikel habe ich für Stupidedia, die Enzyklopedie ohne Sinn geschrieben.

4 Kommentare:

Rick hat gesagt…

Gute solide Arbeit, der Artikel :)

Anonym hat gesagt…

Früher, werter Herr Goggi, konnte man
... den Rhein durchschwimmen, ohne grüne Pusteln zu bekommen.
... Rheinwasser trinken, ohne gleich einen Dauerarrangement mit bestimmten Sanitärmöbeln einzugehen.
... Semmeln essen, die nicht nur aus Luft und Gips waren.
Und da war noch was. Vergessen.
Ihr Erdge Schoss

Rick hat gesagt…

Früher, geschätzter Herr Schoss, wussten Kinder noch wer oder was überhaupt ein Rhein ist wo es liegt...

Goggi hat gesagt…

Ich kenne den Rhein nicht so gut. Einmal habe ich mit Schöggeli spiltternackt in der Aare gebadet. Aber sonst trinke ich nur Badi-Wasser