Rick fuchtelte mit den Händen und schob den Vorhang des Küchenfensters von der Mitte her beiseite. Nein, das war nicht sein Tag. Dass sein Chef noch wegen der versauten Präsentation zu ihm kommen würde, lag noch in seiner Reichweite der Nachvollziehbarkeit. Aber das. Rick schüttelte den Kopf, schob den Stoff auf die andere Seite, ein Spiel das er etwa fünfmal wiederholte.
Daniela sass auf dem kantigen Holzstuhl in der Küche, die Arme gestreckt und aufgestützt auf den Knien. Sie nahm bemerkenswert laut Luft, als wäre sie kurz davor etwas sagen zu wollen und wahrscheinlich hätte sie auch, doch Rick liess ihr keine Gelegenheit zu Wort zu kommen. „Dieser Idiot“. Rick wendete sich vom Fenster ab, durch welches er mit leerem Blick dem Treiben der Herbstblätter zugeschaut hatte. „Ich meine, er ist mein bester Freund“ und korrigierte sich sogleich „er war mein bester Freund“
Er korrigierte sich immer beim Sprechen, das war ihr schon oft aufgefallen. Das letzte mal als er sich beim Nachbarn für den leckeren Schokoladenkuchen bedankte, den er nicht angerührt hatte, denn von diesen einfältigen Leuten nehme er nichts an, wo es doch aber ein Marmorkuchen war. Der Marmorkuchen. Daniela stand daneben und sagte nichts und tat im Gegenteil so, als würde sie sich den Worten ihres Angetrauten anschliessen und nickte dankend für den Kuchen, den Schokoladenkuchen, der keiner war und sie wusste es und auch der Nachbar wusste es und beide sagten nichts. Es war ihr im Nachhinein so peinlich, dass sie von diesem Bild gefangen, abends nicht mehr einschlafen konnte. In der Stille der Nacht, die nur durch die Weihnachtsbeleuchtung in der Nachbarschaft durchbrochen wurde, lag sie da und sah den Nachbarn freundlich grinsend, den Dank annehmend und sie sah sich selbst, wie sie im Erdboden verschwand.
Mit dem selben leeren Nichts, mit dem Rick den Herbstblättern folgte, hörte Daniela artig zu, wie ihr Mann weiterfuchtelte. Immer noch war sein Freund ein Idiot und auch die Geschichte um die missratene Präsentation hallte zum wiederholten Male durch die Küche, unbeachtet, der nicht weiter interessierten Hörerschaft. Heute Abend würde er es bestimmt noch bloggen und die ganze Welt würde es erfahren, fürchtete sie, entspannte ihr Arme und stand auf. Sie schaltete den Fernseher an, den Rick letzte Woche in die Küche gestellt hatte, doch er war es, der nach der Fernbedienung schnappte und die Kiste wieder zum Schweigen bringen wollte.
„Aber die Tagesschau kommt gleich“
„Tagesschau? Du willst die Tagesschau sehen?“
Rick drückte auf den Knöpfen rum, bis das Bild bei einer jungen Dame stehen blieb, die gerade nach Automarken mit A suchte.
„Da hast du deine Tagesschau“
Rick traute seiner Frau nicht besonders viel zu. Für ihn war sie die Putze, die froh sein konnte, einen Mann wie ihn zu haben. Längst hatte sie die Reize verloren, die ihn vor ein paar Jahren noch um den Verstand brachten. Er kam sich vor wie Richard Gere, der als Offizier und Gentleman das Arbeitermädchen aus der Gosse fischte. Aber vom einst erfolgreichen Manager war auch nur eine Staubwolke geblieben. Das Leben der beiden hatte sich dermassen normalisiert, dass es schon ein Ereignis war, wenn eine Nachbarin wegen fehlendem Mehl an der Haustüre klingelte.
Daniela seufzte, es wäre nicht seine Schuld gewesen, dass ausgerechnet sein Freund und sowieso, der hat es sicher nicht absichtlich getan und so weiter. Dann drückte sie neuerlich auf die Sieben, wodurch die junge Dame entschwand und stattdessen der Schweizer Kanal sich einschaltete, auf dem Katja Stauber die Neuigkeiten verlas.
„Alles nur Schlechtigkeiten“ fauchte Rick
„Ist ja gut“
Ihre Stimme war immer noch sanft und warm und immer wenn sie etwas sagte klang es so, als wollte sie dem Gesagten ein friedliches Ende bescheren. Die Nachrichtensprecherin erzählte von Christoph Blocher und Muscharaf und vom FC Thun. „Ich sag es ja, alles nur Schlechtigkeiten“. Danielas Blick schweifte in die Ferne und sie besann sich des „Schreckmümpfelis“, das sie vor ein paar Jahren am Radio hörten. Rick und sie schalteten jeden Montagabend, exakt um 23.04 Uhr das Radio ein und lauschten kuschelnd, zuerst dem pochenden Herzen, dann der gequälten Melodie, welche die gespenstigen Geschichten auf DRS1 ankündigten. Dieses mal kämpfte eine Frau darum, ein einziges Mal die Nachrichten hören zu dürfen. Ihr böswilliger Mann gestand ihr dies für alle Zeiten zu, unter der Voraussetzung, eine einzige Meldung sei heute positiv. Natürlich berichtete das Radio nur von Toten und Verletzten, Attentätern und Verunfallten. Die letzte Meldung bevor sie sich geschlagen in die Küche verzog war, dass eine bestimmte Konservendosensorte vergiftet sei und man diese umgehend zu entsorgen habe. Der Mann streckte triumphierend die Füsse auf den Salontisch und seine arme Frau ging und wühlte in den Küchenkästen, zog eine Konservendose heraus und erkannte, dass nicht alle Meldungen schlecht waren...
Schaudernd-verliebt schmunzelten Daniela und Rick damals über die wöchentlichen Geschichten, doch liebend gerne hätte Daniela heute von einer ähnlichen Nachricht erfahren. Doch nur mit Martinas roter Nase und ein paar notgeilen Fussballern in den Nachrichten, lassen sich kein Ehemänner um die Ecke bringen.
So legte sich Daniela frühzeitig ins Bett, wie sie das in den letzten Tagen oft machte. Draussen streichelten ein paar Schneeflocken das Schlafzimmerfenster und nur die bewegten Lichter der Weihnachtsbeleuchtung von Nebenan durchbrachen die Stille, als sägten sie an ihren Gedanken. Die aber entschwanden plötzlich, wie von Fernbedienung weggezappt, als ihr Blick aufgeregt die beleuchteten Ziffern des Radioweckers suchten. 23:04 prangte da in digitaler Pracht und hastig drückte sie auf den Tasten herum, hörte eine Stimme die französisch redete, dann eine vertrautere: Die Strassen im Mittelland seien Schneebedeckt und alle Pässe gesperrt. Das musste es sein. DRS1. Und schon pochte das Herz und Daniela brauchte sich nur noch einzukuscheln, zur gequälten Melodie, welche das Schreckmümpfeli ankündigte...
Besonders Kommentare und Bemerkungen, neue Ideen und das örtliche Weltgeschehen nehmen Einfluss auf die Fortsetzung der Geschichte.
4 Kommentare:
Rick hatte migrosse Migräne. Er rieb sich die Schläfen, dachte nach was nicht stimmte und ging stumm in sich. Und war versucht auf ewig dortzubleiben. Dann schoß es ihm ein wie ein Blitz ins Kraut:
"Moment mal, ich habe gar keinen Chef, ich bin mein Chef!"
Schon bohrten sich Fragen ins seinen Kopf, scharf wie sich sonst nur Butterknöpfli in eine ausgetrocknete Hauskatze bohren können. Wer war dann der Kerl mit der Präsentation? Wo war Danielas Hund? Und seit wann widersprach sich nicht mehr? Oft präventiv, an den bestimmten Tagen? Und wo zum Teufel steckt Goggi?
das schreckmümpfeli kommt nicht mehr am mittwoch zwischen dem kreuzworträtselspiel?? und das spiel gibts dann wohl auch nicht mehr "weschtlich vo der reuss und öschtlich vo der reuss".... tja, man merkt dass ich so gut wie kein radio mehr höre seit ich die hintergründe dieses mediums kenne. anderen geht es mit der post ja ähnlich ;-)
daniela beginnt eine affäre mit "dem idiot" und rick erfährt dies durch eine präsentation - und wird irgendwann von einer elektronisch beleuchteten, umfallenden weihnachtstanne in den klingnauer stausee geworfen...
Du, monsieur Fischer... Du meinst die "Radio Musik Box". Die gibts leider schon Ewigkeiten nicht mehr. Und das Spiel, welches danach kam, war einfach total blöde... In der ersten Ausgabe hätte ich laut der Moderatorin einen zweiten Preis gewonnen... Hab bis heute nichts bekommen :P (hat sich herausgestellt, dass die was falsch verstanden hatte).
Deswegen habe ich dann meinen Mittwoch-Radioabend aufgegeben, der immer aus Spasspartout und Radio Musik Box bestanden hatte...
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