"Aus anderer Sicht" (Donnerstag, 2. August, 3sat)
An Multiple Sklerose leiden weltweit 1 Million Menschen. In der Schweiz sind es etwa 10'000 Betroffene, die an der degenerativen Erkrankung des zentralen Nervensystems leiden. Wie alle anderen Krankheiten dieser Welt, hat auch MS seine ganz hässlichen Seiten. Jeder der selber eine vergleichbare Krankheit erlebt (hat), weiss denn auch um deren Begleiterscheinungen: Ausgestossenheit, Vereisamung, das Äussere wirkt abstossend. Man fühlt sich nicht nur Krank, man sieht auch ao aus.
Nicht so bei 3sat. In der Doku "Aus anderer Sicht" wird uns Eva vorgestellt. In jungen Jahren schon hörbehindert, setzte sie sich mit starkem Willen im Leben durch und lehrt an einem Gymnasium Religion und Deutsch. Vor wenigen Jahren erkrankte sie zudem am Multiple Sklerose. Der Film zeigt uns Evas Leben und wie sie trotz allen Beschwerden den Alltag meistert.
Als differenzierter Betrachter von Schicksals-Sendungen, komme ich aber immer mehr ins Grübeln. Nicht wegen Eva. Ihr Wille ist trotz leidvollen Krankheitsschüben bemerkenswert und die junge Frau ist zu bewundern, wie aufrecht sie ihren Weg geht.
Es geht um den Autor der Sendung. Er zeigt uns eine junge attraktive Dame, sie hat eine Freundin und eine grosse Passion, das Geige-Spielen. Ihre Tage sind ausgefüllt, sie ist integriert, wird betreut und ist - wäre da nicht ihre Krankheit - man würde sagen: ein zufriedener Mensch. Dies jedenfalls hat mir der Film von Peter Pauli vermittelt. Ich hatte zuletzt den Eindruck, eine solche Krankheit zu haben, sei fast wünschenswert. Es sei immernoch möglich, jetzt erst recht, ein erfülltes Leben zu haben. Die Dame ist hübsch, hat äusserlich kaum Auffälligkeiten, ist talentiert und sprachgewandt. Als betroffener Zuschauer könnte man sich fast so vorkommen, als wäre man minderwertig, also noch kranker als die junge Frau, wenn man nicht mindestens eben so viel Energie an den Tag legte, um dem Schicksal zu entrinnen.
Krankheit als Schönheitsideal? Pauli wollte dem Zuschauer natürlich zeigen, dass man auch in ausweglosen Situationen Hoffnung schöpfen kann. Er zeichnete ein warmes Bild, voller Geborgenheit und Zuversicht.
Die Wahrheit sieht aber wie immer anders aus. Vielen kranken Menschen reicht die Kraft nicht aus, sich zu stemmen. Besonders ältere Menschen haben eher selten einen engen Verbündeten, der sich um sie kümmert. Patienten mit einer Krankheit, die ihr Leben auf den Kopf gestellt hat, sehen nicht selten verwahrlost aus. Sie verlieren viel Gewicht, wirken ungepflegt, es ist ihnen auch ziemlich egal, was andere von ihnen denken. Sie verlieren ihren Job, ihre Freunde, die Begeisterung für ihr Hobby. Sie werden alleingelassen, unverstanden, ungesehen. In der Realität sind kranke Menschen einsam. Sie tragen ihre schwere Last alleine und wünschen sich, wenigstens einen Gips um den Arm tragen zu können. Wer nimmt einem eine psychische Erkrankung schon ab? Man sieht ja nichts.
MS ist eine schlimme Krankheit. Genau so wie Diabetes, Burn-Out, Asthma, Bluthochdruck, Krebs, AIDS, Depressionen, Rheuma oder Parkinson. Natürlich trägt die schöne Eva die Botschaft aus, kämpfen würde sich lohnen. Aber vergesst bitte nicht die Alten, Hässlichen, Kleinen, Armen, Scheuen und die Kraftlosen. Auch sie haben Aufmerksamkeit verdient, die wir einer schönen Eva gewiss viel lieber zu Teil kommen liessen.
1 Kommentar:
Sehr geehrte Leser,
am 12.09. wollte ich normalerweise Sport 1 sehen, um die Fußballspiele des vergangenden Wochende zu verfolgen.
Statt eine Sportberichterstattung lief gerade die Sendung "Normal" mit dem Titel: Evas Passion.
Anfangs noch uninteressiert und wartend auf den Sport, bekam ich nach und nach mit, um was es sich bei der Eva handelt.
Was mich immer wieder bei Schicksalen dieser oder ähnlicher Art und Weise fasziniert, ist - die Bewältigung der Krankheit der Betroffenen und das Mitten in unserem Leben bzw. Alltag.
Ich bin selbst beruflich erfolgreich aufgestiegen und verlor Schritt für Schritt mein soziales Umfeld. Im letzten Jahr bin ich für mehrere Monate ausgefallen mit der Diagnose: Burn Out.
Obwohl ich sehr sportlich bin und auch über viele Jahre Orgel- und Klavierunterricht hatte - habe ich mich mehr und mehr aus dem Leben zurückgezogen. Soziale Kontakt gibt es so gut wie keine mehr.
Mit Tränen in den Augen habe ich an Eva gesehen, dass es sich lohnt - aus seinem Leben etwas zu machen. Als ein gesunder Mensch nehme ich die Möglichkeiten, die um mich herum existieren einfach nicht wahr und ich möchte diesem Film zum Anlass meinem Leben wieder etwas mehr Freude und Fröhlichkeit einhauchen.
Vielen Dank an die Filmcrew sowie Eva, dass Ihr diesen sehr schönen und doch voller Ernst und Nachdenklichkeit gedrehten Film uns Zuschauern zur Verfügung gestellt habt.
Vor allem drücke ich Eva wie allen anderen Menschen mit einer körperlichen Behinderung die Daumen für eine gute Bewältigung des Lebensalltags. Und - bleibt uns weiterhin ein Vorbild dafür - wie schön trotz aller Umstände ein Leben sein kann. Wenn man es will....
Ganz herzliche Grüße
Jürgen K.
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